Ab 04. Juli 2024 beginnt die neue Zeitrechnung der dezentralen Energieversorgung. An diesem Tag zahlte sich die enorme Arbeit, die wir gemeinsam mit vielen anderen Aktivisten seit Jahren ins Balkonkraftwerk stecken, voll aus:
Erstmals in der Geschichte wurde per Gesetz festgelegt, dass grundsätzlich ALLE das Recht haben, ihre eigene Sonnenenergie zu erzeugen und für sich zu nutzen!
Und zwar unabhängig von Alter, Einkommen, Wohnsituation oder anderen Faktoren! Dieses „Recht aufs Balkonkraftwerk“ gilt nach Beschluss des Bundestags vom Donnerstag durch das „Gesetz zur Zulassung virtueller Wohnungseigentümerversammlungen, zur Erleichterung des Einsatzes von Steckersolargeräten und zur Übertragbarkeit beschränkter persönlicher Dienstbarkeiten für Erneuerbare-Energien-Anlagen“ nun auch für Mieter und Wohnungseigentümer!
Das wird durch eine Aufnahme des Balkonkraftwerks in die Reihe der „privilegierten Maßnahmen“ im Miet- und Wohneigentumsrecht möglich. Konkret heißt es ab jetzt im Mietrecht:
“(1) Der Mieter kann verlangen, dass ihm der Vermieter bauliche Veränderungen der Mietsache erlaubt, die dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen, dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge, dem Einbruchsschutz oder der Stromerzeugung durch Steckersolargeräte dienen. Der Anspruch besteht nicht, wenn die bauliche Veränderung dem Vermieter auch unter Würdigung der Interessen des Mieters nicht zugemutet werden kann.”
§554 BGB laut Gesetzesentwurf, Drucksache 20/9890
Und im Wohneigentumsgesetz:
(2) Jeder Wohnungseigentümer kann angemessene bauliche Veränderungen verlangen, die
§20 WEG laut Gesetzesentwurf, Drucksache 20/9890
1. dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen,
2. dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge,
3. dem Einbruchsschutz,
4. dem Anschluss an ein Telekommunikationsnetz mit sehr hoher Kapazität und
5. der Stromerzeugung durch Steckersolargeräte
Dies kommt nach einhelliger Meinung der Juristen einer „Beweislastumkehr“ gleich. Mussten bisher die Interessenten an einem Balkonkraftwerk um Erlaubnis für dessen Zulassung bitten und Belege für seine Sicherheit erbringen, ist es nun an Vermietenden und Eigentümer*innengemeinschaften, entweder klare Angaben zu machen, wie ein Balkonkraftwerk genutzt werden kann, oder es einfach zuzulassen. Dass dieses „Recht aufs Balkonkraftwerk“ nun verabschiedet wurde, ist für alle Beteiligten und Betroffenenen und auch für uns selbst ein enormer Erfolg.
Vorgeschichte
Wir selbst hatten 2022 damit begonnen, für das Balkonkraftwerk aktiv in die Bundespolitik einzugreifen. Das begann über Gespräche mit Abgeordneten, die Vorlage von konkreten Ideen zum Bürokratieabbau fürs Balkonkraftwerk und die Schaffung eines Netzwerks aus Akteuren mit der selben Zielsetzung. Einige Mitglieder der AG Balkonkraftwerk hatten auch bereits bei der Bundesnetzagentur und einzelnen Bundesmministerien für zusätzliche Vereinfachungen geworben.
Besonders intensiv arbeiteten wir dabei schon damals an der Privilegierung von Balkonkraftwerken in Miet- und Eigentumswohnungen – am „Recht aufs Balkonkraftwerk“ – und das aus gutem Grund: Diese Privilegierung erhöht die Anzahl der Menschen, die das grundsätzliche Recht zur Eigenversorgung mit Solarenergie haben, mit einem Schlag um 100%. Sie erschließt zudem endlich auch die Städte für die erneuerbaren Energien. Solarmodule werden so natürlicher Teil des Stadtbilds und die Gewinnung erneuerbarer Energien auch auf individueller Ebene zum Alltagsphänomen.
Mit der im Februar 2023 gestarteten und enorm erfolgreichen Balkonsolar-Petition erhöhten wir insbesondere auf dieses Thema den Druck. Nachdem die Petition mit über 100.000 Unterschriften in die TOP10 aller jemals beim Bundestag eingereichten Petitionen aufgestiegen war und Hauptpetent Andreas Schmitz a.k.a. Akkudoktor und seine Begleitung Christian Ofenheusle von EmpowerSource deren Anliegen im Mai 2023 im Bundestag überzeugend vorbringen konnten, ging es zunächst schnell.
Noch im Mai wurde ein Entwurf des Justizministeriums für die Privilegierung von Steckersolarkraftwerken geleaked. Danach geschah allerdings lange nichts. Erst am 18. Januar 2024 wurde das Gesetz erstmals im Bundestag beraten. Dort konnte bereits ein erstes positives Ergebnis erreicht werden: Alle Abgeordneten stimmten einer Weitergabe des Entwurfs an die zuständigen Ausschüsse des Bundestages, insbesondere den Rechtsausschuss, zu. Dessen Abgeordneten hatten nun darüber zu entscheiden, ob der Entwurf in der bisherigen Form bestehen bleibt, oder ob er angepasst werden soll. Hierzu gab es am 19. Februar auch eine Anhörung mit von den verschiedenen Fraktionen berufenen Sachverständigen. Auch wir hatten mit Simone Herpich vom Verein Balkon.Solar eine Vertreterin entsandt und eine umfassende Stellungnahme zum damaligen Gesetzesentwurf verfasst.
Unsere Änderungswünsche für den Gesetzesentwurf
Wir hatten in dieser Stellungnahme vorgeschlagen, dass die Privilegierung – wie von den Fachausschüssen des Bundesrates und von den meisten geladenen Experten der Anhörung vorgeschlagen – auf alle Formen der Photovoltaik ausgeweitet werden sollte. Wenn der entsprechende Platz am Balkon, der Terrasse, im Garten oder anderen Gebäudeteilen vorhanden ist, wäre so auch die fachgerechte Installation einer PV-Anlage mit mehr als 600/800 Watt an Leistung möglich gewesen.
Zudem wird darin empfohlen, vorausschauend auch Einrichtungen zur Speicherung und Weitergabe der erzeugten Energie mit in die Privilegierung aufzunehmen. Angesichts der bereits konkret beabsichtigten und von EU-Ebene eigentlich längst vorgeschriebenen Freigabe von Energiegemeinschaften und des P2P-Stromhandels ist es wenig sinnvoll, diese Möglichkeiten bei der aktuellen Gesetzesnovelle außen vor zu lassen.
Über den eigentlichen Gesetzestext hinaus wird darin insbesondere die Notwendigkeit betont, die praktische Bedeutung der Privilegierung von Balkonkraftwerken im Rahmen der Gesetzesbegründung sowie der Begleitdokumente zum Gesetz wesentlich detaillierter auszuführen. Das ist zwingend notwendig, denn es ist bereits absehbar, dass die bislang mangelhafte Klärung offener Fragen weiterhin zu unsachgemäßen Forderungen von Seiten der Vermietenden, Eigentümergemeinschaften und deren Hausverwaltungen führen wird, welche im Zweifelsfall erst vor Gericht abgewehrt werden können. Um dies zu vermeiden, forderten wir u.a. die Klarstellung,
- dass die individuell empfundene Ästhetik des durch Balkonkraftwerke veränderten Fassadenbildes für sich selbst keinesfalls ausreicht, um ein ausreichendes Gegengewicht zu ihrem gesamtgesellschaftlichen Nutzen darzustellen,
- dass Balkonkraftwerke zur gebräuchlichen Nutzung einer Wohnung gehören und die Prüfung und Instandsetzung von nicht für den üblichen Gebrauch tauglicher Elektrik, veralteten Zählerschränken und statisch nicht einwandfreier Balkonbrüstungen beim Vermieter bzw. der Eigentümergemeinschaft liegen,
- dass Denkmalschutz und andere Regelungen zum Erhalt originaler Bausubstanz und Optik hinter das bereits in Gerichtsurteilen festgestellte „überragende öffentliche Interesse“ an erneuerbaren Energien zurückstehen müssen und,
- dass der Erhalt von Rettungswegen problemlos durch lotrechte Montage und/oder Restflächen zur Anleiterung gewährleistet werden kann und daher nichts davon Ablehnungsgründe sein können.
Die Umsetzung – ein Teilerfolg
Leider konnten wir uns mit den Forderungen nicht vollständig durchsetzen. So wurde etwa davon abgesehen, Solarenergie allgemein zu priviligieren, abe Steckersolargeräte eben schon. Darüber hinaus einigte sich der Rechtsausschuss in seiner Beschlussempfehlung darauf, dass 2027 evaluiert wird, ob die mit dem Solarpaket eingeführten Änderungen bereits ausreichen, um auch Mehrfamilienhäuser in größerem Umfang mit Solaranlagen auszustatten und, sollte das nicht der Fall sein, die Einführung einer Privilegierung der Solarvorhaben einzelner Mietender bzw. Eigentümer*innen erneut zu prüfen.
Auch für die Privilegierung von Einrichtungen zur Speicherung und Weitergabe von Energie ließ sich keine Mehrheit finden. Dies kann allerdings dank der nun geltenden Verwendung des Begriffs „Steckersolargeräte“ in Miet- und Wohneigentumsrecht nachgeholt werden. Hierzu müsste lediglich die Definition von Steckersolargeräten im EEG aktualisiert werden. Dies wäre z.B. über das Solarpaket II noch im Laufe dieser Legislaturperiode möglich.
Die Klärung der vielen Detailfragen zur tatsächlichen Bedeutung des Gesetzes für die Rechtfertigung von Forderungen von Vermietenden und Eigentümer*innengemeinschaften blieb in weiten Teilen ebenfalls aus. Allerdings schaffte der Rechtsausschuss in seiner Beschlussempfehlung immerhin bei einer der Hauptfragen Klarheit:
„Eine sichtbare Installation von Steckersolargeräten ist in der Praxis der Regelfall. […] Auch bei der sichtbaren Installation von Steckersolargeräten liegt in der Regel keine grundlegende Umgestaltung im Sinne von § 20 Absatz 4 WEG vor, und zwar selbst dann nicht, wenn solche Geräte bei mehreren oder gar allen Einheiten installiert werden.„
(Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) Drucksache 20/12246 vom 03.07.2024)
Damit ist eine grundlegende Ablehnung von Balkonkraftwerken aus ästhetischen Gründen ausgeschlossen.
Darüber hinaus wurde klargestellt:
„Der Ausschuss weist darauf hin, dass der Anspruch auf die Installation von Steckersolargeräten nicht durch überzogene Vorgaben über das „Wie“ der Installation ausgehöhlt werden darf.„
(Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) Drucksache 20/12246 vom 03.07.2024)
Der Beschluss
Nachdem der Rechtsausschuss am 03. Juli 2024 die entsprechende Empfehlung formuliert hatte, wurde bereits am Folgetag für 21:20 Uhr die zweite und dritte Lesung des Gesetzes sowie dessen Verabschiedung in die Tagesordnung des Bundestages aufgenommen.
Um diesen Anlass gemeinsam zu begehen, trafen wir uns mit einigen handverlesenen Gästen online, um den Livestream des Bundestags zu verfolgen.
Nach der durch alle demokratischen Parteien des Bundestags (außer AFD) gemeinsam getragenen Verabschiedung des Gesetzes stießen wir natürlich auch gemeinsam auf den Erfolg an.
Mit diesem Gesetz ist die letzte und wichtigste Forderung der Balkonsolar-Petition von 2023 umgesetzt und unsere Mission erfüllt. Das bedeutet aber nicht das Ende der Bemühungen um die vollständige Etablierung von Balkonkraftwerken in Deutschland. Weitere Felder wie die Produktnorm, die Zulassung in Kleingärten, die Klärung der offenen Rechtsfragen und eine Faire und nachhaltige Marktgestaltung werden uns in den nächsten Monaten und Jahren weiter beschäftigen.
Ein weiterer wichtiger Punkt der Drucksache 20/12146 ist:
„Nach § 14 Absatz 1 Nummer 2 WEG sind die Wohnungseigentümerinnen und -eigentümer verpflichtet, Einwirkungen auf das gemeinschaftliche Eigentum zu dulden, aus denen ihnen keine über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinausgehenden Nachteile erwachsen.“
Meine freie Interpretation, wenn es vor eurer Erdgeschoss Wohnung eine gemeinschaftliche Rasenfläche gibt, die nicht von der Gemeinschaft genutzt werden kann aufgrund eines Zaunes oder Mauer, ist auch dort eine PV Anlage (Balkonkraftwerk) zu dulden
Sehe ich das richtig, dass die Änderung Stand Ende Juli 2024 noch nicht rechtsgültig ist weil das Gesetz noch durch den Bundesrat muss und der tagt erst wieder am 27.09.2024?!
Korrekt! Aktuell gehen wir von einer Gültigkeit ab Oktober aus.
Eine Woche noch, Sitzung ab 9:30, Balkonkraftwerk etc ist TOP 9
https://www.bundesrat.de/DE/plenum/bundesrat-kompakt/24/1047/1047-node.html
Wenn ich es richtig gelesen habe, gültig ab dem nächsten Tag nach Zustimmung?
Hallo Carsten,
ja, wir werden es verfolgen.
Gültig ist es nach Tag der Verkündigung. Die erfolgt nach Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten durch Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt. Wir rechnen mit Oktober.
Dann warten wir mal auf die Ausformulierung und Veröffentlichung.
https://www.bundesrat.de/DE/plenum/bundesrat-kompakt/24/1047/09.html?nn=20819792#top-9
Da isses:
https://www.recht.bund.de/bgbl/1/2024/306/VO.html
Bei einer besseren Planung hätte, wie vorgesehen, eine Zustimmung
Durch den Bundesrat sofort erfolgen können.
Bei uns hat WEG – Eigentümerversammlung den Antrag abgelehnt, da das Gesetz noch nicht gültig ist.
Ja, die Abstimmung zwischen den Parlamenten lässt zu wünschen übrig. Die Eigentümerversammlung ist da recht kurzsichtig. Jetzt muss sie sich zweimal mit dem Thema befassen…